Allgemein,  Spiritualität

Andacht für alle Sinne gestalten

Coronabedingt ist in vielen Häusern ein Zusammenkommen der (geimpften) SeniorInnen wieder möglich, aber das Singen im Gottesdienst bleibt schwierig.
Da eine Andacht aus reinen Wortbeiträgen schnell langweilig werden kann, stelle ich heute Möglichkeiten vor, alle Sinne zu berühren:

Sehen: Schön ist eine große Vase mit Zweigen, die wir als Teil der Schöpfung in den Raum bringen und die im Frühling zusätzlich duftende Blüten beitragen.
Immer wieder beliebt sind Postkarten, die zu einer moderierten Bildbetrachtung einladen und anschließend mitgenommen werden dürfen. Wer eine schöne Bibel mit Illustrationen sucht, die sich auch für Bildbetrachtungen eignen: Den Klassiker der Kinderbibeln von Kees de Kort finde ich immer noch am Besten.
Auch Skulpturen laden zum Schauen und Nachsinnen ein, wenn sie passend zum Thema gewählt werden. Jenseits von Corona können wir sie herumgeben und zusätzlich betasten lassen.

Hören: Solange Singen nicht erlaubt ist, können wir Instrumentalstücke abspielen oder ein bekanntes Kirchenlied vorspielen, das die SeniorInnen innerlich mitvollziehen. Das laute Lesen eines Psalms können wir mit Instrumenten begleiten, dafür eignet sich beispielsweise Psalm 16. So „vertonen“ wir das Gesprochene wie damals König David und drücken sehr expressiv Gefühle aus…

Riechen und Schmecken: Um sich gedanklich auf das Lesen einer Geschichte aus der Bibel einzustimmen, können wir mediterrane Kräuter verteilen, zwischen den Fingern zerreiben und erschnuppern. Dafür eignen sich Thymian und Oregano, alle bekommen ein kleines Zweiglein und dürfen es später mitnehmen. Diese Kräuter sind zwar nicht unbedingt „biblischen Ursprungs“, aber ihr Aroma lässt an wärmere Länder denken.
Ganz wichtig ist für meine SeniorInnen das Abendmahl: Ich besorge Milchbrötchen, halbiere sie und schneide sie in Stücke. Roten Traubensaft schenke ich in Medizinbecherchen (oder Schnapsgläser) aus, beides wartet auf einer Serviette an den Einzelplätzen der SeniorInnen. Zusammen mit einem Teelicht (ggf. batteriebetrieben) genießen die Damen und Herren ihre Einzelplätze und können trotz Abstandsregeln gemeinsam Abendmahl feiern.
Auch das Aufbrühen eines Tees aus frischen Gartenkräutern schafft eine gemütliche Atmosphäre, die durch Wärme, Duft und Geschmack viele Sinne gleichzeitig berührt.
Stoffsäckchen gefüllt mit Kräutern regen zum Durchatmen an: Befüllt mit Lavendel beruhigen die ätherischen Öle, mit getrockneten Minzblättern entfalten sie eine anregende Wirkung. So können sie passend zum Entspannen und Beten (Lavendel) oder zum Austausch (Minze) eingesetzt werden.

Fühlen: Ich liebe es, den SeniorInnen einen kuscheligen Platz einzurichten. Dazu lege ich vorher eine Decke über jeden Stuhl, die einfach über die Rücken- und Armlehnen hängt. Im passenden Moment lade ich die SeniorInnen ein, die Decke am Rücken hochzuziehen (bis über den Kopf, wer mag) und an den Oberarmen um die Schultern zu schlingen. Dazu verwende ich selbstverständlich Decken, die sich gut waschen lassen. Wer sich nur eingeschränkt bewegen

kann, wird von mir liebevoll in die Decke gehüllt. Das Einkuscheln eignet sich für eine Atemmeditation, eine Gebetszeit, einen Moment der Stille oder eine geführte Fantasiereise zu einem Schauplatz der Bibel.
Auch Kreuze aus Holz mit abgeschliffenen Kanten, die als Handschmeichler verwendet werden, bieten sich zum Berühren und Festhalten an. Manche Anwesende, die von innerer und körperlicher Unruhe geplagt werden, können sich dadurch gut zentrieren. Wer mag, verbindet die Frage „Was bedeutet das Kreuz für mich?“ oder „Kann ich glauben und annehmen, dass Gott für alle meine Fehler stellvertretend am Kreuz starb und auferstand?“ damit. Holzkreuze lassen sich gut über die Kleinanzeigen erwerben, wenn Omas Nachlass verkauft wird.
Einmal brachte ich kleine, selbstgenähte Kissen aus bunten Stoffresten mit, die die SeniorInnen als Kuschelkissen verwenden konnten. Viele vergruben ihr Gesicht darin und mochten gar nicht mehr auftauchen… danach wirkten sie extrem entspannt.

Für Menschen mit dementiellen Veränderungen kann auch das Ausmalen von biblischen Motiven ein passendes Angebot sein.

Informationen, Praxistipps und Erfahrungen zu Andachten und Gesprächen über persönliche Themen präsentiere ich in meinem Praxisbuch „Über die großen Fragen des Lebens sprechen. Achtsamkeit und Spiritualität in der Sozialen Betreuung“. Es ist aufgeteilt in die Bereiche Achtsamkeit, Spiritualität und philosophische Themen und eignet sich sowohl für Einzelbetreuungen als auch Gruppenangebote. Das Fachbuch ist erschienen im Verlag Vincentz Network.

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